HFE-Mutationen - Evolutionsvorteil?

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Lia
Alter Hase
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Registriert: Mo 15. Mär 2004, 16:08

HFE-Mutationen - Evolutionsvorteil?

Beitrag von Lia »

Cyco hat geschrieben:
http://www.haemochromatose-forum.de/for ... =19&t=1501
Warum nun diese Überschrift? Ich habe mir mal grundlegende Gedanken gemacht :lol: Ich bin davon überzeugt, dass "unsere" Mutation vor nicht allzulanger Zeit einen gewissen (und nicht einmal geringen) Evolutionsvorteil bot. Zu Zeiten spurenelemtarmer, unausgewogener und fleischarmer Kost konnten unseresgleichen deutlich besser Eisen einlagern. Mehr Ery's, dadurch bessere Sauerstoffsättigung, mehr Leistungsfähigkeit, bessere Überlebenschancen. Warum sonst ist (wie bei keiner anderen Mutation) eine so hohe Frequenz bei HH zu finden. Allein in Italien sind es mehr als 35% der Bevölkerung. Das sieht nicht nach purem Zufall aus - im Gegenteil.
Dazu meine Gedanken, die sich mit Deinen ziemlich decken. Habe sie mal ins Forum Fachsimpelei gestellt, da englischspr. nichtübersetzte Texte und Fachchinesisch dabei.

Für heterozygote Anlageträger sind HFE- Mutationen aus meiner Sicht klar von evolutionärem Vorteil, sonst wären sie wohl nicht weit verbreitet.
Die Mutation ist wohl keltischen Ursprungs, zur Zeit der Kelten war das Leben bekanntlich deutlich auher als heute.

Vorteile:
weniger anämieanfällig = sportlich und mental leistungsfähiger und bessere Reproduzierbarkeit der menschlichen Hämospezies :wink:
Ich sage immer, wir leben nur in der falschen Zeit, da viel zu viel Eisen verfügbar. Viel Fleisch im Kühlregal vorrätig, ohne daß man dafür jagen muß und sich die ein oder andere Wunde zuzieht, in Europa wenig Kriege (immer noch zu viel Kriege), daher wenig Blutverlust, kaum Parasiten, die einem das Blut von innen oder außen :wink: wegsaugen (außer diese :hilde beim Aderlaß von homozygoten Mutanten :mrgreen: ) und wir leben heutzutage so lange, daß sich richtig schön viel Eisen ansammeln kann, wenn nicht gegengesteuert wird. Früher war die Lebenserwartung geringer = kaum oder zumindest weniger Symptome. Homozygote Männer wurden früher oft nicht alt genug, um gravierende Symptome und Folgeerkrankungen zu entwickeln bzw. überhaupt das Vollbild einer Hämochromatose zu entwickeln. Homozygote Frauen bekommen sowieso meist erst nach der Menopause erste Symptome.
- bessere Reproduzierbarkeit
Den Blutverlust bei Geburten und starke Mensblutungen können heterozygote und homozygote Frauen besser verpacken als die vielen Frauen ohne HFE-Mutation, die unter Eisenmangel leiden. Auch ein Vorteil, dadurch verbessert sich die Geburtenrate von Kindern, die dann ihrerseits wieder HFE-Mutationen vererben können. Darwin....
-Kinder ohne Eisenmangel sind mental deutlich leistungsfähiger und daher lernfähiger als Kinder mit Eisenmangel
- bei körperlichen Anstrengungen bzgl. Ausdaueranforderungen fitter
Der Mensch an sich ist kein geborener Kurzstreckensprinter im Gegensatz z.B. zum Löwen, sondern eher für ausdauernde Bewegungsanforderungen gebaut.
Ich habe gelesen, daß gerade bei Ausdauersportarten ein gewisser Eisenüberschuß Vorteile bieten könnte und habe dazu auch schon mal was geschrieben:
In addition, a higher frequency of HFE (hemochromatosis
gene) mutations that cause HH is reported among
endurance runners, and it is proposed (5) that these
mutations may promote athleticism. Therefore, investigating
the effect of iron overload among asymptomatic HH
subjects may supplement our knowledge of the role of iron
levels in exercise capacity in general
Quelle: http://www.hemochromatosis.co.uk/0asdf/ ... ercise.pdf

Zudem geht ja bei Läufern auch noch Eisen durch die mechanische Hämolyse verloren, da kann man ausreichende Eisenreserven gebrauchen... Und auch sonst ist Eisen im Ausdauersport für maximale körperliche Leistungsfähigkeit begehrt. Nicht zufällig gibt es sogar eine Form der erworbenen Hämochromatose bei zu gut :wink: dopenden bzw gedopt habenden Radrennsportlern (Eisen i.v. völlig ohne Eisenmangel ist da so viel ich weiß gang und gäbe + das gute alte Epo) Radprofis haben oft viel zu viel Eisen im Körper. Für die Bildung vieler neuer roter Blutkörperchen dank Epo braucht es viel Eisen. Häufiges Blutdoping kann zu sekundärer Hämochromatose führen. Artikel von 1999 über Doping bei Radprofis in dem von überhöhten Eisenwerten die Rede ist:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,26954,00.html
http://radsport-news.com/news/doping6.htm über französische Radprofis, 1999
Zitat
"90 Prozent der untersuchten Profis hatten eine Eisen-Konzentration im Blut, die mindestens fünf Mal höher lag, als normal. Bei 20 Prozent war die Eisenrate sogar zehn Mal höher (1.000 Nanogramm/Liter) als normal."


geringere Anfälligkeit für bestimmte lebensbedrohliche Erkrankungen
Es gibt die Hypothese (zumindest laut dem von mir sehr geschätzten Mikrobiologen und Immunologen Eugene Weinberg, dessen Frau an Hämochromatose leidet), daß ein Evolutionsvorteil darin bestehen könnte, daß die Makrophagen bei eisenüberladenen C282Y-homozygoten Menschen besonders eisenarm sind. Gegen Erreger, die Eisen aus den Makrophagen ziehen, wären solche Menschen besser geschützt . (z.B.Typhus- und Tuberkulose Erreger)
Hierzu: http://www.hemochromatosis.co.uk/0asdf/ ... rvival.pdf


Nachteile
Aber gegenüber anderen Erkrankungen sind Menschen mit erhöhter Transferrinsättigung gar nicht besser geschützt sondern vielmehr deutlich anfälliger z.B. für Infektionen mit Streptokokken, Vibrio vulnificus u.v.m., von daher sehe ich diesen Vorteil insgesamt als gering. Es sei denn, die Krankheiten, vor denen die Mutationen besser schützen, sind tödlicher als die anderen, bei denen für Mutanten (homozygot, heterozygot) bei erhöhter Transferrinsättigung erhöhte Infektionsgefahr besteht.
Außerdem haben heterozygote Anlageträger (und homozygote eisenüberladene Menschen sowieso) ein erhöhtes Erkrankungrisiko für diverse nichtinfektiöse Erkrankungen.

Vorteile scheinen derzeit zu überwiegen
Nur scheinen diese Nachteile im Vergleich zu den möglichen oben gelisteten Vorteilen einer HFE-Mutation insgesamt wohl geringer zu wiegen, so daß sich die HFEMutationen C282Y und H63D, welche wohl auf einen einzigen keltischen Mutanten zurückgehen dürften, bereits in großen Teilen der mitteleuropäischen Bevölkerung erfolgreich durchsetzen konnten.
Verbreitung der C282Y-Mutation und Eisenmangel-Eisenüberschuß
Es gibt immer noch viel Eisenmangel in der Welt. Und gerade da, wo er besonders herrscht und derzeit besonders negative Folgen zeigt, gibt es (noch zu wenig) C282Y, nämlich in den "Entwicklungsländern", welche nicht im mitteleuropäischen Verbreitungsgebiet der Mutation C282Y liegen. Dies hat aber einen Grund, da Eisenmangel vor dort grassierenden Infektionen weniger anfällig macht und dort Eisenmangel mehr Vorteile bietet als verbesserte Eisenreserven durch die C282Y-Mutation.
Eisenüberschuß und die Folgen werden in den Wohlstandsgesellschaften meiner Ansicht nach immer mehr zum Problem werden. Irgendwo las ich neulich, jeder dritte Mann neige hierzulande bereits zu Eisenüberladung.

Liebe Grüße

Lia
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