interessantes zum eisen

In diesen älteren Diskussionen der Vorjahre könnt Ihr lesen und auch weiter aktiv schreiben. Beachtet, dass sich der Stand der Forschung seitdem geändert haben kann. Es gibt inzwischen neue Empfehlungen und Leitlinien zur Diagnostik und Therapie.
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jürgen
Frischling
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Registriert: Fr 3. Sep 2004, 21:23
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interessantes zum eisen

Beitrag von jürgen »

Den folgenden Artikel hat mir ein Bekannter empfohlen:

...

2. Eisenentzug

Unser Körper verfügt über einen verwandten Abwehrmechanismus, von dessen
Existenz die meisten Leute nichts wissen und der von den Ärzten
gelegentlich unfreiwilligerweise unterdrückt wird. Hier einige Indizien zu
seiner Wirkungsweise: Bei einem Patienten mit chronischer Tuberkulose
findet man einen erniedrigten Eisenspiegel im Blut. Der behandelnde Arzt
kommt zu dem Schluß, daß sich durch eine Korrektur der Anämie die
Widerstandskraft des Patienten verbessern lassen müsse, und verordnet ihm
ein Eisenpräparat. Die Infektion verschlimmert sich. Ein anderes Beispiel:
Die Männer des Zulu-Stamms trinken häufig in Eisengefäßen hergestelltes
Bier und erleiden sehr oft eine schwere Leberinfektion, die durch Amöben
verursacht wird. Bei den Massai erleiden dagegen weniger als zehn Prozent
der Männer solche Amöbeninfektionen. Sie sind Hirten und trinken große
Mengen Milch. Als man einer Gruppe von Massaimännern ein Eisenpräparat
verordnete, erkrankten bald darauf 88 Prozent von ihnen an einer
Amöbeninfektion. In einer anderen Studie verordneten wohlmeinende Forscher
somalischen Nomaden Eisenpräparate, um deren auffällig niedrigen
Eisenspiegel auszugleichen. Noch vor Ende eines Monats waren 38 Prozent
der behandelten Personen an einer Infektion erkrankt, bei den
unbehandelten Somalis waren es nur acht Prozent. Und noch ein Beispiel:
Eier sind ungemein nährstoffreich, aber ihre poröse Schale kann sehr
leicht von Bakterien durchdrungen werden. Wie also bleiben Eier so lange
frisch? Sie enthalten große Mengen Eisen, doch dieses befindet sich
ausschließlich im Eigelb, das umgebende Eiweiß ist eisenfrei. Das Protein
im Eiklar besteht zu 12 Prozent aus Conalbumin, einem Molekül, das in
seiner Struktur Eisen sehr fest bindet und es somit möglicherweise
eindringenden Bakterien vorenthält. Das Eiklar konnte also schon lange vor
dem Zeitalter der Antibiotika mit Infektionen umgehen. Das Protein der
menschlichen Muttermilch besteht zu zwanzig Prozent aus Lactoferrin, einem
weiteren Molekül, das dazu angelegt ist, Eisen zu binden. Kuhmilch enthält
nur zwei Prozent Lactoferrin, und gestillte Babys bekommen folgerichtig
weniger Infektionen als Flaschenkinder. Hohe Konzentrationen an
Lactoferrin finden sich des weiteren in der Tränenflüssigkeit, im Speichel
und vor allem auch in Wunden, wo ein erhöhter Säuregehalt das Molekül
besonders effizient bei der Bindung von Eisen sein läßt. Die Entdecker des
Conalbumins prophezeiten, daß es im Körper ein ähnliches Molekül zur
Eisenbindung geben müßte. Diese Überlegungen führten zur Entdeckung des
Transferrins, eines weiteren Proteins mit der Fähigkeit, Eisen sehr fest
zu binden. Transferrin gibt das gebundene Eisen nur an Zellen ab, die über
einen speziellen Erkennungsmarker verfügen. Bakterien haben den benötigten
Code nicht und können deshalb das Eisen nicht nutzbar machen. Patienten,
bei denen ein Eiweißmangel besteht, haben unter Umständen weniger als ein
Zehntel der normalen Transferrinmenge. Wenn man diesen Menschen
Eisenpräparate verabreicht, bevor der Körper Zeit gehabt hat, seine
Transferrinreserven zu regenerieren, dann läßt das freie Eisen im Blut
eine tödliche Infektion möglich werden - wie das tragische Ergebnis so
manchen Versuchs, den Opfern von Hungersnöten zu helfen, gezeigt hat.
Inzwischen ist dieser Abwehrmechanismus hinlänglich bekannt. Eisen stellt
für Bakterien eine lebenswichtige und nur begrenzt verfügbare Ressource
dar, und die Wirte haben ein breites Spektrum von Mechanismen entwickelt,
sie den Bakterien vorzuenthalten.4 Bei einer Infektion schüttet der Körper
eine Substanz aus, den sogenannten leucocyte endogeneous mediator (LEM),
der sowohl die Körpertemperatur erhöht als auch die Verfügbarkeit von
Eisen im Blut herabsetzt. Auch die Eisenabsorption im Darm ist während
einer Infektion herabgesetzt. Selbst unsere Nahrungspräferenzen verändern
sich. Auf dem Höhepunkt einer Grippeinfektion scheinen uns so eisenreiche
Lebensmittel wie Schinken und Eier mit Sicherheit ekelerregend, uns
verlangt es nach Tee und Toast. Genau damit aber sorgen wir dafür, daß
unsere Krankheitserreger kein Eisen mehr bekommen. Heute scheint uns die
Technik des Aderlasses ein Beispiel früher medizinischer Unkenntnis,
vielleicht aber, so Kluger, hat sie manchen Patienten durchaus geholfen,
indem sie deren Eisenspiegel senkte. Schon in den siebziger Jahren hatte
sich herausgestellt, daß ein niedriger Eisenspiegel nicht nur schädlich,
sondern auch nützlich sein kann, doch selbst heute noch, so stellen Kluger
und seine Mitarbeiter fest, wissen nur elf Prozent der Ärzte und sechs
Prozent der Apotheker, daß der Ersatz von Eisen unter Umständen für
Patienten mit Infektionen auch schädlich sein kann. Zwar hatte es sich nur
um eine kleine Stichprobe gehandelt, doch die Studie macht deutlich, wie
schwierig es ist, so manches etablierte wissenschaftliche Faktum ins
Bewußtsein der Kliniker zu rücken. Selbst führende Wissenschaftler
unterlassen es gelegentlich, diesen adaptiven Mechanismus zu erwähnen.
Eine kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie5
demonstrierte, daß Kinder mit cerebraler Malaria sich leichter erholten,
wenn man sie mit einem eisenbindenden Medikament behandelte. Der Artikel
beschrieb dabei jedoch nicht das natürliche körpereigene System zur
Eisenbindung. Der im Laufe der Evolution entstandene Mechanismus zur
Regulation der Bindung von Eisen ist nur eine sehr spezielle Illustration
des allgemein gültigen Grundsatzes, daß wir Abwehrmechanismen sehr sorgsam
von anderen Manifestationen einer Infektionskrankheit unterscheiden müssen
und nicht übereilt den Schluß ziehen sollten, daß eine Körperreaktion
schlecht angepaßt ist. Dementsprechend sollten wir sehr vorsichtig bei der
Umgehung einer Abwehrreaktion sein. Kurz, wir sollten die im Laufe der
Evolution gesammelte Weisheit unseres Körpers respektieren.

(Quelle: Warum wir krank werden; Randolph M. Nesse / George C. Williams;
Verlag C.H.Beck München 1997 ISBN 3-406-42286-1) 4 Der Entzug von Eisen
als Verteidigungsmaßnahme gegen bakterielle Krankheitserreger wird
diskutiert von E. D. Weinberg in Physiological Reviews, 64:65-102 (1984).
5 Über die Behandlung von Malaria mit Eisenchelat-Bildnern berichten V.
Gordeuk et al. in The New England Journal of Medicine, 327:1473-1477
(1992).
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